Was wir von Menschen wahrnehmen, ist nicht das, was in ihrem Inneren vorgeht. Jeder schleppt seine ganz eigene Geschichte mit sich herum.
Letzte Woche schockierte die Geschichte von Wolfgang Grupp, langjähriger Trigema-Chef. Er hat seine Firma mit Biss, Disziplin und starken Werten erfolgreich gemacht. Letztes Jahr hat der 83-jährige Trigema erfolgreich übergeben an seine beiden Kinder und an seine 20 Jahre jüngere Frau. Alles richtig gemacht, aber es fühlte sich wohl nicht richtig an.
Anfang Juli versuchte Grupp sich das Leben zu nehmen.
Altersdepression, wie er öffentlich mitteilte. Was für eine Größe, dies zu teilen!
Ein Mann aus der Kriegskinder-Generation, die Gefühle nur aushält, aber nicht drüber spricht. Er steht dazu und empfiehlt anderen, denen es genauso geht wie ihm, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen.
Er macht, was der ehemalige KZ-Überlebende Viktor Frankl lehrte und selbst praktizierte: aus Wunden Weisheit schaffen.
Wer bin ich, wenn ich nicht mehr powere?
Wer bin ich, wenn ich mich nicht mehr ausbeute?
Wo bleibt der Sinn?
Diese Frage muss irgendwann neu beantwortet werden. Vermutlich von uns allen.
Vielleicht ist der neue Sinn für Wolfgang Grupp anderen Betroffenen einen Ausweg aufzuzeigen. Ihnen Mut zu machen.
Ich wünsche ihm, dass er von dem akkuraten Anzug mit steifem Hemd wechselt zu Kaschmirpullover mit Cordhose. Weg von der Rüstung – hin zur sanften Umarmung.
Und die schicke ich dir auch.
Von Herzen
Deine und Ihre
Monika Scheddin
PS Dazu passt:
Forget the perfect offering.
There is a crack in everything That's how the light gets in.
Soll heißen: Alles hat Risse. Und genau da hindurch kommt das Licht hinein.
Leonard Cohen in seinem Song „Anthem“.
Foto: Divenkalender 2023, Alliteraverlag