Umgang mit peinlichen Situationen
Kennenlerntermin bei einem potenziellen neuen Kunden. Vor seinem Firmengebäude ist eine Riesenbaustelle und ich finde partout den Weg nicht. Es ist zum Mäusemelken. Am Ende erscheine ich volle 40 Minuten zu spät. Höchst peinlich. So was will niemand.
Es war mir so unangenehm, doch meine Ansprechpartner hatten Verständnis. Sie spürten meine Aufregung und wie sehr es mir leidtat. Sie nahmen mir den Druck, bewirteten mich freundlich und so wurde ein Gespräch auf Augenhöhe möglich. Das Ganze ist über 20 Jahre her und aus dem seinerzeit peinlichen Auftritt ist eine Geschäftsbeziehung entstanden, die bis heute andauert.
Was uns peinlich ist, ist höchst individuell.
Petersilie zwischen den Zähnen, Toilettenpapierfahne am Rockzipfel, rot werden, unkontrollierbare Schweißausbrüche …
Was der einen über Wochen peinlich ist, berührt jemand anders gar nicht.
Meiner ehemaligen Assistentin war es noch viele Tage peinlich, dass sie zu den schwarzen Schuhen aus Versehen einen schwarzen und einen dunkelblauen Socken gewählt hatte. Ich weiß noch, wie es mich wunderte, denn niemand bemerkte es – außer sie selbst.
Wann entsteht das Gefühl von Peinlichkeit?
Mit circa drei Jahren beginnen sich Kinder zu schämen und die Hochkultur aller Peinlichkeit erfährt ihren Zenit in der Pubertät bis circa Anfang 20. In dieser Zeit sind uns die Dinge am peinlichsten. Wir befürchten Haare an Stellen, wo wir sie nicht haben wollen. Krümel am Mund, Popel in der Nase, die Eltern sind peinlich – von Haus aus. Es ist peinlich, um Hilfe zu bitten, zu telefonieren, eine fremde Sprache zu sprechen, die man nicht perfekt beherrscht. Jeder Fehler ist schrecklich peinlich. Drama pur.
Ist das Gefühl von Peinlichkeit nicht völlig überflüssig? Eine emotionale Fehlkonstruktion?
Nein, es ist auch ein Zeichen von emotionaler Reife. Es ist uns wichtig, wie das Gegenüber uns sieht und das ist an sich ein guter Wert, denn es ist das Gegenteil von Rücksichtslosigkeit.
Doch wie gehe ich mit peinlichen Situationen möglichst souverän um
- Ignorieren. Empfiehlt sich für den Pups beim Yoga oder das ungewollte kleine Bäuerchen.
- Face the Beast: einfach dazu stehen, wenn man merkt, dass man rot geworden ist. „Seht ihr auch, dass ich gerade rot geworden bin? Das passiert, wenn mir etwas wichtig ist“ oder du hast gelästert und die betreffende Kollegin steht hinter der Tür. „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Sorry, bitte verzeih mir, das war nicht in Ordnung. Das mache ich nie wieder!“
- Who owns the problem? Sich nicht verantwortlich fühlen, wenn sich zum Beispiel das Kind oder der eigene Partner danebenbenimmt. Ich weiß, das muss man üben.
- Sich selbst verzeihen, zum Beispiel, wenn man den Kaffee verschüttet. „Ups, das passiert mir nur, wenn ich mich besonders wohl fühle. Es tut mir so leid“
- Relativieren: Wird mich das, was mir gerade unendlich peinlich ist, in drei Jahren noch interessieren? In drei Monaten? In drei Wochen? In drei Tagen? Und angenommen das Peinliche, das mir passiert ist, wäre meiner besten Freundin passiert, wie würde ich es dann einsortieren?
Peinlich für den guten Zweck
Vor vielen Jahren in Köln – mein Vorstellungsgespräch. Auf dem Weg zum Restaurant laufen wir übers Kopfsteinpflaster, der Präsident der US-Firma, der Europa Chef, der Deutschland Chef und ich. Nur wenige Meter reichen und der Absatz meiner Stiefelette ist Geschichte. Jede Frau, der das auch schon einmal passiert ist, weiß sehr genau, wie man sich da fühlt. Ich versuche mit nur einem Absatz einigermaßen elegant voranzuschreiten - unmöglich.
Dann bitte ich die drei Jungs mir zu helfen, den anderen Absatz auch zu eliminieren, damit ich einigermaßen mit Würde weitergehen konnte. Was soll ich sagen, der zweite Absatz hielt bombenfest.
Den Job bekomme ich, weil ich nachweislich sehr souverän in einer Krisensituation reagiert hätte. Allerdings musste ich es mir bei jeder Weihnachtsfeier gefallen lassen, dass diese Story wieder aufs Tablett kam und man sich – same procedure as every year - köstlich amüsierte.
Wichtig ist:
Weg mit der Scham, denn sie tut nichts für dich. Peinliches bleibt nur peinlich, wenn ich es zu vertuschen versuche. Sobald ich es anerkenne, löst es sich in Luft auf.
Lass die peinliche Situation ein Anfang sein und kein Ende.
Wie stehst du zum Thema "Peinlichkeit"? Was ist dir heute noch peinlich und worüber kannst du längst lachen?
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Päuschen
Meine Montags- Kolumne macht Pause. Wir sehen uns an dieser Stelle am Montag, den 15. September wieder.
Eine gute Zeit und selten Regen wünscht von Herzen
Deine und Ihre
Monika Scheddin
PS passend zum Thema teile ich mit euch oben ein leicht peinliches Foto aus dem Malatelier
